Andrea Johanides (WWF) und Rémi Vrignaud (Allianz) im Gespräch
Weltklimakonferenz, wirksamer Klimaschutz und die Rolle der Versicherer
Was muss sechs Jahre nach dem Pariser Klimaschutzabkommen passieren, um eine Antwort auf die dringlichen Fragen der Klimakrise zu finden?
Andrea Johanides: Die Staats- und Regierungschefs müssen den Ernst der Lage begreifen und die Klimakrise als das behandeln, was sie ist: ein globaler Notfall. Mit den bisher vorliegenden Plänen sind wir davon meilenweit entfernt. Symbolische Bekenntnisse dominieren, längst bekannte Maßnahmen werden immer wieder aufgeschoben, die wichtige Rolle des Naturschutzes ist unterbelichtet. Das muss sich dringend ändern – und zwar nicht nur in Worten, sondern vor allem auch in den Taten. Wir haben leider schon viel zu oft erlebt, dass sich die Politik nach der Heimreise von Klimakonferenzen nicht mehr an ihre eigenen Zusagen erinnern kann.
Die Schockwellen der Covid 19 Pandemie haben die Welt in einen Krisenmodus versetzt. Dadurch stellten sich automatisch auch die Fragen, wie wir „richtig“ aus der Krise kommen. Ein Zurück zum Zustand vor Corona ist für uns und viele undenkbar. Wir sehen stattdessen ein großes Potential für einen Neustart – für eine andere, bessere Welt mit einer klimafitten, naturverträglichen und damit krisensicheren Wirtschaft. Unter diesen neuen Vorzeichen ist die COP26 unsere Chance für richtungweisende Veränderungen im Klimaschutz.
Was erwarten Sie sich als Unternehmen von der COP?
Wir brauchen eine Wiederbelebung des internationalen Klimaprozess, dringender denn je. Alle Zeichen dafür stehen auf rot: Unsere Ökosysteme sind an einer Belastungsgrenze angelangt. Als Versicherer haben die Folgen dieser Veränderungen eine direkte Auswirkung auf Ihr Kerngeschäft. Wie gehen Sie mit diesem Risiko um?
Was fordert der WWF in diesem Zusammenhang von der Finanzbranche? Was braucht es, damit mehr Geld in nachhaltige Bereich fließt?
Welche Rolle können aus der Sicht einer Umweltschutzorganisation Versicherungen spielen, um eine Transformation rasch voranzubringen?
Wo sehen Sie Potential in Ihrem direkten Wirkungskreis, um die Transformation ihres Kerngeschäfts weiter rasch voranzutreiben? Was sind die nächsten Ziele?
Rémi Vrignaud: Der Einfluss der Finanzbranche für eine nachhaltige Wirtschaft wird oftmals unterschätzt. Aber es macht einen großen Unterschied, ob Gelder etwa in klimaschädliche Aktivitäten wie den Kohleabbau oder in saubere Bereiche wie erneuerbare Energien oder den öffentlichen Verkehr fließen. Investitionen dürfen nicht nur auf ihre kurzfristige Profitabilität hin überprüft werden. Es gilt, den langfristigen Einfluss auf Mensch und Umwelt zu berücksichtigen.
Bei der Allianz haben wir uns schon 2015 entschlossen, kein Geld mehr in Kohleabbau zu stecken. Wir investieren in Bereiche, die Zukunft haben und Zukunft schaffen und konnten den Nachhaltigkeitsgrad unserer Investitionen stetig weiter erhöhen. Heute stehen wir bei 91,3 Prozent unserer Anlagen, die Nachhaltigkeitskriterien entsprechen, mehr als die Hälfte unserer Investitionen werden sogar als „sehr nachhaltig“ eingestuft. Bis 2030 möchten wir überhaupt keine nicht nachhaltigen Investitionen mehr tätigen. Die Erreichung dieser Ziele lassen wir jedes Jahr unabhängig prüfen. Solch klare Ziele und ihre transparente und glaubwürdige Verfolgung würde ich mir auch von anderen Akteur:innen der Finanzbranche wünschen. Denn es reicht nicht, einzelne Produkte mit Nachhaltigkeitsmerkmalen zu schaffen – nur die ökologische und sozial verträgliche Gestaltung unseres Kerngeschäfts bringt uns tatsächlich weiter.
Hat Ihre strategische Ausrichtung Auswirkungen auf die Renditen?
Wie wirksam schätzen Sie die aktuellen regulatorischen Vorgaben für den Finanzbereich ein?
Können wir das 1,5 Grad Ziel der Vereinten Nationen noch erreichen?
Rémi Vrignaud: Das ist ohne Frage ein ambitioniertes Ziel und mit jedem Jahr, in dem wir dringend notwendige Transformationen hintanstellen, wird es ambitionierter. Ich denke aber auch, wenn wir jetzt mutige, große Schritte setzen und unsere Wirtschaft neu ordnen, dann können wir es schaffen.
Andrea Johanides: 1,5 Grad sind unser Schlüssel für eine lebenswerte Zukunft. Treffen wir jetzt die richtigen Entscheidungen, haben wir eine reale Chance. Doch dafür bleibt nicht mehr viel Zeit. Alle Beteiligten müssen daher rasch vom Reden ins Handeln kommen – das gilt auch für Österreich. Wir sehen uns gerne als Vorreiter, stoßen aber immer noch annähernd gleich viele Emissionen aus wie 1990. Beim Energiesparen gibt es kaum Fortschritte, die Bodenversiegelung geht massiv weiter, jedes Jahr fließen immer noch bis zu 4,7 Milliarden Euro in umweltschädliche Subventionen. So gesehen, wäre schon sehr viel gewonnen, wenn die Politik endlich damit aufhören würde, das Falsche zu tun.
Die Herausforderungen, die vor uns liegen, sind groß. Gemeinsam können wir diese schaffen.